Ein Zeichen für mehr Nutzerfreundlichkeit oder für Deppen?
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Der Bindestrich sorgt für reichlich Gesprächsstoff im Netz. Seiten wie deppenbindestrich.de sammeln Beweise für dessen Unsinnigkeit und auch Zeitungsartikel stellen seine Notwendigkeit in
Frage. Er trennt angeblich Dinge, die ursprünglich zusammengehören und ist ein Ausdruck des deutschsprachigen Wildwuchses. Doch ist das wirklich so? Ist der Bindestrich so überflüssig oder gar
grammatikalisch inkorrekt wie es Kritiker behaupten? Welche Schreibweise ist besser für den User und welche Rolle spielt das Deppenleerzeichen bei all dem Durcheinander? In diesem Artikel
erfährst du mehr.
Der Bindestrich – Wann wird er eingesetzt?
Der Bindestrich kann beziehungsweise muss laut Duden in verschiedenen Situationen zum Einsatz kommen.
Optional:
- Hervorhebung einzelner Bestandteile in Zusammensetzungen und Ableitungen
- Strukturierung unübersichtlicher oder schlecht lesbarer Zusammensetzungen
- Zur Vermeidung von Missverständnissen
- Beim Zusammentreffen dreier gleicher Buchstaben
Obligatorisch:
- Aneinanderreihungen und Zusammensetzungen mit Wortgruppen
- Zusammensetzung mit Buchstaben, Ziffern oder Abkürzungen
Neben diesen Regelungen gibt es außerdem noch den Trenn- und Ergänzungsstrich zum Trennen beziehungsweise Einsparen von Wortbestandteilen. Darüber hinaus existieren zusätzlich Ausnahmen und bestimmte Regelungen zur richtigen Schreibweise von englischen Begriffen. Bei diesem Regelkatalog kann ein Laie schon mal den Überblick verlieren. Ich will dich an dieser Stelle gar nicht allzu lange mit Rechtschreibregeln langweilen. Die genauen „Vorschriften“ kannst du aber unter folgenden Adressen nachlesen:
Mit einem Bindestrich für Klarheit sorgen
Beim Einsatz eines Bindestrichs sollte man nicht nur die Rechtschreibregeln, sondern stets auch die Lesbarkeit und Scannbarkeit im Blick behalten. In einem anderen Artikel von mir hat sich bereits herauskristallisiert: nutzerfreundlich schreiben = lesbar schreiben.
Das heißt aus UX-Sicht betrachtet, arbeitet man überall dort mit dem Bindestrich, wo Missverständnissen oder Leseschwierigkeiten vorgebeugt werden kann. Dementsprechend ist der
Bindestrich ein Zeichen für Klarheit und Nutzerfreundlichkeit. Miriam Löffler empfiehlt in ihrem Buch „Think Content!“ auf die Wortlänge zu achten. Ein
Wort mit über 12 Zeichen ist einfach schwierig zu lesen beziehungsweise schwierig zu scannen (vgl. Software-Management versus Softwaremanagement).
Dennoch gibt es auch kurze Wörter, die zusammengeschrieben eher für Verwirrung sorgen und wo ebenfalls ein Bindestrich angebracht ist.
Zwergelstern versus Zwerg-Elstern
Magentarot versus Magenta-Rot
Exkurs: Deppenbindestrich versus Deppenleerzeichen
Die relativ lockeren Regelungen bezüglich des Bindestrichs führten scheinbar zu dessen inflationärem Einsatz. Es existieren mittlerweile Wortschöpfungen wie Golf-Platz oder Spar-Plan, bei denen man sich schon fragt, was das Ganze überhaupt soll. Zur Nutzerfreundlichkeit tragen diese Kreationen mit dem bekannten Deppenbindestrich vermutlich nicht bei. Zu häufig eingesetzt können Sie vermutlich sogar das Gegenteil bewirken und den Lesefluss stören.
Beim sogenannten Deppenleerzeichen ist es tendenziell andersherum. Begriffe wie Humboldt Forum, Mobile Device Management oder Dinkel Mehl sind eventuell leichter zu lesen, jedoch
rechtschreibtechnisch schlichtweg falsch. Ist deren Nutzung dennoch gerechtfertigt, da sie für eine höhere Nutzerfreundlichkeit sorgen? Wohl kaum, lassen sie sich doch auch
wunderbar zusammen oder im Sinne der Nutzerfreundlichkeit mit einem Bindestrich schreiben.
Grammatische Regeln brechen für mehr Nutzerfreundlichkeit?
Was ist wichtiger, Grammatik oder Nutzerfreundlichkeit? Diese Frage würde sicherlich jeder anders beantworten und bei dem einen oder anderen Personenkreis eine heftige Diskussion auslösen. Ich persönlich bin kein Rechtschreibfanatiker und würde mich im Zweifelsfall eher für die Nutzerfreundlichkeit aussprechen. Auch die NNGroup empfiehlt in einem ihrer Artikel das Brechen bestimmter Grammatikregeln zugunsten der Nutzerfreundlichkeit. Das soll jedoch kein Freifahrtschein für die Missachtung sämtlicher Rechtschreib- und Grammatikregeln sein. Die Einhaltung von Grammatik und Rechtschreibung ist wichtig, um einen professionellen Eindruck zu vermitteln. Dennoch lohnt es sich auch, die eine oder andere Regelung zu hinterfragen, um seine Internettexte lesbarer und damit nutzerfreundlicher zu gestalten.
Nehmen wir uns selbst zu wichtig?
Viele Website-Betreiber haben Angst davor Fehler zu machen und nehmen ihren Content inklusive Rechtschreibung genauestens unter die Lupe. Versteh mich bitte nicht falsch. Präzision und ein ausführliches Korrektorat sind wichtig, doch wann ist zu viel zu viel? Wann sollten wir aufhören, unsere Webtexte zu zerdenken und einfach auf „veröffentlichen“ drücken? Nehmen User die Inhalte auf unserer Seite überhaupt so kritisch auseinander wie wir selbst?
Wahrscheinlich nicht, denn unser Leseverhalten im Netz deutet auf das Gegenteil hin.
Laut einem Artikel der NNGroup verbringen Menschen durchschnittlich gerade einmal 2 bis 3 Minuten auf einer Website. Dass die User innerhalb dieser paar Minuten jeden Satz auseinandernehmen und über einzelne Rechtschreibregeln (z. B. über den Bindestrich) nachdenken, ist doch sehr unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist es hingegen, dass User eine schlechte Lesbarkeit der Texte bemerken und daraufhin die Seite verlassen.
Darüber hinaus empfehlen Usability-Experten wie Steve Krug, dass man Mensch bleiben sollte, auch auf der Website. Und zum Menschsein gehört es nun mal auch dazu, Fehler zu
machen. Derjenige, der ohne Fehler ist, werfe den ersten Stein. Es gibt keine perfekte Website, keinen perfekten Content und erst recht keinen perfekten Text. Nehmen wir uns also selbst nicht so
wichtig und rücken vielmehr die Bedürfnisse des Nutzers in den Vordergrund: einen informativen, lesbaren und scannbaren Text vorzufinden.
Meine Erfahrungen
Du kannst dir sicherlich denken, dass ich nicht von alleine auf dieses grandiose Thema gekommen bin In meiner bisherigen beruflichen Laufbahn hatte ich einen Vorgesetzen, der besonders kritisch bezüglich Rechtschreibung war. Einer seiner Achillesfersen war der Bindestrich oder wie er es nannte: der Deppenbindestrich. Obwohl der Duden den Einsatz des Bindestrichs in ausgewählten Situationen (z. B. bei zu langen Wörtern) erlaubt, ja sogar empfiehlt, wollte er ihn streichen. Dass dabei die Lesbarkeit der Texte litt, war ihm offensichtlich egal beziehungsweise nicht bewusst. Mir war dieser Umstand damals auch noch nicht klar, sodass ich außer der Duden-Empfehlung keine weiteren Argumente hatte. Mittlerweile weiß ich es besser und kann bei der nächsten Diskussion um den vermeintlichen Deppenbindestrich weitere Argumente anbringen.
Fazit
Der Bindestrich spaltet die Gemüter. Manche finden ihn gut aufgrund der Lesbarkeit, andere sehen in ihm die Verunglimpfung der deutschen Sprache. Wie so häufig liegt die Wahrheit irgendwo
dazwischen. Clever und richtig eingesetzt kann er die Lesbarkeit erhöhen und damit das Nutzererlebnis verbessern. Inflationär gebraucht, kann er jedoch auch das Gegenteil bewirken und dem
Lesefluss schaden. Dennoch sollte man ihn nicht komplett verteufeln und ihn gezielt nutzen, um seinen Usern einen unbeschwerten Websitebesuch zu ermöglichen.
Quellen:
- https://www.duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/bindestrich
- https://www.annika-lamer.de/richtig-schreiben-englische-worter-im-deutschen/
- https://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebel-fisch-das-elend-mit-dem-binde-strich-a-274613.html
- https://www.noz.de/deutschland-welt/kultur/artikel/867936/das-deppenleerzeichen-greift-um-sich
- https://www.nngroup.com/articles/break-grammar-rules/
- https://www.nngroup.com/articles/fresh-vs-familiar-aggressive-redesign/
- Löffler (2014): Think Content!: Content-Strategie, Content-Marketing, Texten fürs Web. Bonn: Galileo Press.
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